Abschiede.

Ich habe im letzten Jahr viel Abschied genommen, immer verbunden mit dem schmerzhaften Prozess, endlich erwachsen zu werden.

Eigentlich dachte ich bereits mit zarten 16 Jahren, dass ich die Welt beherrsche. Ich sagte meinen Eltern „Adieu“ und zog in die weite Welt, in die fremde Stadt hinaus. Verließ das behütete, warme und liebevolle Nest. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Rückblickend mit scheinbar unendlichem und unerschütterlichem Selbstbewusstsein. Heute frage ich mich, woher all der Mut und die Kraft kamen, sich in die absolute Ungewissheit zu stürzen. Nach gefühlten Jahren der Suche in mir – zerstreut durch äußere Ablenkung und innere Besänftigung – nach blinden Anpassungen, die zur vollkommenen Orientierungslosigkeit führten, kristallisiert sich langsam eine Antwort vor meinem inneren Auge: Ich hatte ein Ziel und ich wusste, wer ich war.

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Mit 16 Jahren wusste ich besser, was wichtig und zu tun ist, als ich es mit 25 Jahren weiß. Vielleicht mag es fast prä-jugendliche Naivität gewesen sein, vielleicht war es mein starker Wille, den mir mein Umfeld noch heute beteuert. Ich wollte das Abitur. Ich wollte studieren. Ich wollte schreiben. Wie und wo und vor allem ob man damit Geld verdient, waren sekundäre Randfaktoren. Ich wusste, was ich kann und ich war fleißig. Während andere sich morgens noch von Mutti wecken und sich Brote schmieren ließen, saß ich schon vor acht Uhr am Schreibtisch und paukte chemische Formeln und französische Vokabeln, damit ich nach der Schule arbeiten gehen konnte. Ich wollte mehr, ich wollte „gut“ sein, ich wollte mir selbst Türen öffnen.

Irgendwo auf dem Weg begann mein Selbstbewusstsein zu schrumpfen und Selbstzweifel nahmen ihren Platz ein: Bin ich schön genug? Bin ich klug genug? Leiste ich genug? Bin ich wirklich gern allein? Das Streben nach absolutem Perfektionismus brachte mich nicht mehr voran, es bremste mich. Machte mich klein.

Ich neige dazu, mich zu viel zu vergleichen. Nach oben. Nach rechts, nach links. Alle haben (scheinbar) ein besseres, ein leichteres Leben. Ich fühle mich oft schwer, vor allem oft zu schwermütig. Weil… ich nicht mithalten kann. Scheinbar. Mithalten, mit den perfekten Bildern in meinem Kopf. Mit von mir selbst geschmiedeten Plänen, die sich nicht erfüllen lassen. Ich renne meine Runden und ziehe meine Kreise. Habe wohl am meisten Angst davor, nicht so wichtig zu sein, wie ich es gerne wäre. Mein Leben zu verschwenden an… falsche Menschen, zu viel Arbeit, an sich drehende Gedanken und wiederkehrende Gefühle.

Ich habe letztes Jahr viel Abschied genommen. Von wichtigen Menschen, von Träumen und Illusionen. Vom perfektionistischen Lebensbild. Was ich brauche, sind neue Ziele und Authentizität. Reale Menschen zum Anfassen, keine fernen und idealisierten Vorstellungen. Und ich brauche mehr Vertrauen in mich und den Glauben an zufällige Begegnungen und rationale Entscheidungen. Türen öffnen sich nicht von allein, ich muss sie selbst aufstoßen. Und bleiben sie verschlossen, so wünsche ich mir, dass ich das akzeptieren kann und die nötige Gelassenheit dafür. Und dass ich mich selbst kennenlerne, wiederfinde und nicht verabschiede, sondern begrüße.

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