Ich bin wieder zurück aus einer Phase der Abstinenz, des Nachdenkens und Grübelns, des sich Hingeben, Abrechens, Abwartens, Verzweifelns und Weitermachens. Der Mensch ist ein Stehauf… ach, lassen wir das. Sind wir nicht. Wir sind keine Stehaufmännchen, die mit Kratzern weiter gehen. Wir sind emotionale Gefühlsbälle, denen antrainiert wird, alles irgendwie im Schach zu halten. So lange wir uns noch nicht artikulieren können, dürfen wir schreien, kratzen, beißen, jammern und seufzen so viel wir wollen. Sind wir vermeintlich irgendwie fertig gereift, soll das aber bitteschön wieder ganz schnell vorbei sein. Kummer, Sorgen, Ängste, Stress? Wie unangenehm. Bitte hier nicht. Oder wenn, bitte nicht zu lange. Und wir lernen mit dieser Erwartung umzugehen.
Wir lernen, dass es besser geht, wenn man lernt, sich zu besinnen. Einzuatmen, auszuatmen, weiterzumachen. Ein bisschen autogenes Training und Lavendeltee. Die Welt ist eine Kugel. Sie dreht sich und man fällt da nicht runter, egal wie viel man um sich wütet.
Ja.
Stimmt.
Gut.
Heißt aber noch lange nicht, dass ich da nicht auch mal aussteigen will. Schließlich hat mich auch niemand vorher gefragt, ob ich mitfahren will, in der Achterbahn des Lebens.
Ich bin zurück. Mit Bier und sauren Gurken. Zurück auf den Boden der Tatsachen. Alles in echt. Es hat sich ausgelavendelteet.
Ich habe während dieser Reise folgende Beobachtungen gemacht:
1. Leider sind viele Menschen Egomane. Und finden’s total geil.
Letztendlich übersetzen junge (und ältere) Menschen dieser Generation Selbstverwirklichung mit: Ich zuerst, dann lange nichts, dann ganz viel Spaß und bloß keine Verantwortung im Privatleben. Absagen ist Volkssportart. Loyalität bitte erst mal nur mit mir. Obwohl ich das auch schon bezweifle. Wenn man sagt: „Ich brauche mehr Zeit mit mir“, meint derjenige damit wirklich elendlich lange Selbstdialoge mit seinem Innersten? Und wenn, wie darf man sich das vorstellen?
„Hallo Du!“,
„ Ja, hallo!“
„Na? Wie geht’s denn?“
„Ja, super! Nur Zeit mit mir heute!“
Ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, dass diese Menschen einen wirklich ehrlichen Dialog mit sich führen. Ich bezweifle dabei nicht, dass Zeit mit sich selbst nicht wichtig ist. Ganz im Gegenteil: Ich kann nicht sagen, wie sehr ich es gerade in diesem Moment genieße, alleine mit mir, Bier und sauren Gurken in meinem Bett zu sitzen. Hands down: Best feeling ever. Bestimmt für Außenstehende kein schöner Anblick, aber ich find’s super. Ja, aber dafür brauche ich doch keinen definierten Zeitraum und schon gar nicht brauche ich dazu Abstand von anderen Menschen. Wer mich kennt, der weiß schon lange, was mich glücklich macht. Und dass Essen im Bett und oftmals melancholische Musik dazu gehört. Und für Selbstgespräche brauche ich keinen Termin mit mir.
2. Unverbindlich ist das neue Für immer.
Üäargs, wie uncool. Kitschig. Schleimig. Bäh: Für immer will doch keiner mehr. Heute ist alles locker. Man kennt sich, man hängt ab, wenn es passt. Man kennt nur die schönen Seiten zusammen. Man guckt einfach so, was passiert: Liebst du etwa noch oder likest du schon?
3. Man kennt niemanden richtig.
Ganz einfache Erklärung, denn: Die meisten Menschen kennen sich selbst nicht. Wie soll dann ein Außenstehender sie kennen? Wir taumeln durchs Leben auf der Suche nach uns selbst. Dabei werden individuell-fiktive Ziele gesetzt und die Bedürfnisse von Mitmenschen oft vergessen, denn für viele gilt: einfach mehr von allem. Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Erfolg, mehr Sex, mehr Mehr. Und sowieso alles in besser als vorher.
Ich finde das alles anstrengend. Ich weiß nicht, ob das an mir liegt. Aber egoistisch gedacht ist das vermutlich so.
4. Die letzte und wichtigste Erkenntnis ist wohl, dass der innere emotionale Gefühlsball auch in Krisen nicht auseinanderfällt. Und dass mehr Achtsamkeit mit sich und mit anderen gerade fehlt in dieser Gesellschaft. Den Glauber aber daran, dass es doch noch Menschen gibt, die selbstlos liebevoll sind und man selbst dazu gehören will, auf diesen sollte man aufpassen. Denn es wird derzeit alles zu schnell aufgegeben.
Und wenn das gerade alles nicht geht helfen Bier…und saure Gurken.
Gedankenstil,
Du schreibst so stark, so tief und so ehrlich, mit Deinem, einem wunderschönen Blick, auf Dinge, Gefühle und Dich. Leichtigkeit und Tiefgang, Rausch der Seele und Leiden. Danke für die Einblicke. you are beautiful from inside.
Und doch. Verloren zwischen Sehnsucht nach Intensität, dem Geben und Nehmen von Wärme und Nähe und der eigenen Hilflosigkeit oder was auch immer es ist. Warum?
Tim